Artikel und Berichte

11.12.2013: Artikel in der Kreiszeitung Wesermarsch

Wissenswertes über Grünkohl

Oldenburger Landesverein gibt Jahrbuch heraus – 14 Beiträge zur Geschichte und Naturkunde

von Katrin Zempel-Bley

14 Beiträge zur Geschichte, Archäologie und Naturkunde im Oldenburger Land beinhaltet das Jahrbuch 2013, das der Oldenburger Landesverein für Geschichte, Natur- und Heimatkunde seit 1892 herausgibt und das jetzt im Staatsarchiv Oldenburg vorgestellt wurde.

Inhaltlich geht es unter anderem um die Wirtschafts- und Sozialgeschichte im Oldenburger Münsterland. Peter Sieve berichtet über das Einkünfteverzeichnis der Lastruper Kirche von 1519. Nicht nur Landesherren, Städte und Klöster waren auf eine Buchführung angewiesen, sondern auch geistliche Fonds, aus denen Kirchen, Kapellen, Pfarrer und Vikare bezahlt wurden. Das Verzeichnis verrät allerhand über das Alltagsleben der Stände.

Über die Grabplatten in der Lamberti-Kirche schreibt Jörgen Welp. Thomas Krause berichtet über eine Kindesentführung in Damme im konfessionellen Milieu des 19. Jahrhunderts. Um Schiffsunglücke im Bereich des Seeamts Brake zwischen 1877 und 1946 dreht sich alles im Beitrag von Matthias Nistal. Anke Sawahn macht mit der Gutsfrau Dora Garbade aus Schierbrok bei Delmenhorst vertraut, die 1893 bis 1981 lebte und 1927 im Oldenburger Land den ersten Landfrauenverein gründete. Sie setzte sich zudem für ein besseres Frauenleben auf dem Land ein. Jana Esther Fries informiert im archäologischen Teil über den Umgang mit Denkmalen aus dem Dritten Reich am Beispiel eines KZ-Außenlagers in Wilhelmshaven.

Im Teil Naturkunde erfährt der Leser Wissenswertes über Grünkohl. Christoph Hahn und Dirk Albach vergleichen verschiedene Sorten des Wintergemüses. Aktuell mutet der Aufsatz von Maria Obenaus an. Sie berichtet über den Verkauf von Kunstwerken aus dem Besitz des ehemaligen Oldenburger Großherzogs.

Das Jahrbuch wird auch im Rahmen eines weltweiten Schriftenaustausches mit über 300 nationalen und internationalen Einrichtungen von den USA bis Russland und von Skandinavien bis Israel verbreitet.

330 Seiten dick

Das Jahrbuch umfasst 320 Seiten, 44 farbige und 33 schwarz-weiße Abbildungen. Es ist im Isensee Verlag, ISBN 978-3-7308-1025-5, erschienen zum Preis von 24,80 Euro.

Quelle: Kreiszeitung Wesermarsch

11.12.2013: Artikel in der NWZ

Als der Großherzog Bilder zu Geld machte

Oldenburger Jahrbuch 2013 erschienen – Themen von unvorhergesehener Aktualität

Die Beiträge beschäftigen sich nicht nur mit Kunstgeschichte. Die Bandbreite reicht von Archäologie bis zum Grünkohl.

von Jürgen Herold

Da überlegt der Herausgeber des Oldenburger Jahrbuchs lang und breit, mit was für einer Abbildung er den Einband des Jahrbuchs schmücken soll, und entscheidet sich für ein Bild des Augusteums, gebaut als Heimstatt der großherzoglichen Gemäldegalerie. Das Bild nimmt Bezug auf einen Beitrag, der sich mit dem Schicksal der großherzoglichen Bildersammlung nach dem Ersten Weltkrieg befasst.

Weder die Verfasserin des Beitrags noch der Herausgeber des Jahrbuchs konnten wissen, dass sie in eine hochaktuelle Diskussion hineinstoßen würden, die um die Fragen von Legalität und Legitimität der Veräußerung von Bildbesitz kreist. Denn darum geht es zurzeit in Bezug auf die Gurlitt-Sammlung. Darum ging es auch in den Jahren nach 1919, als der inzwischen ehemalige Großherzog die beachtlichsten Teile seiner Gemäldesammlung zu Geld machte – eines der Themen des diesjährigen Jahrbuchs.

Aktualität kann auch ein zweiter kunstgeschichtlicher Beitrag für sich reklamieren, denn die Ausführungen zum Briefwechsel zwischen Walter Müller-Wulckow, dem Gründer und langjährigen Leiter des Landesmuseums Oldenburg, und Gerhard Wietek, dem ehemaligen Kustos und nachmaligen Landesmuseumsdirektor in Schleswig-Holstein, lesen sich in Teilen wie ein Kommentar zur derzeit im Schloss gezeigten Ausstellung „Neue Baukunst“.

In der Sektion „Archäologie“ findet sich der Tätigkeitsbericht des Oldenburger Zweigs der Landesdenkmalpflege und ein Beitrag über einen Gegenstand, den der Laie nicht spontan den Aufgaben der Archäologie zuordnet: Gesichert werden sollten die Spuren eines KZ-Außenlagers in Wilhelmshaven.

Die Sektion „Naturkunde“ ist 2013 etwas kurz geraten, widmet sich dafür aber einem Thema, dem es im Oldenburgischen nie an Brisanz gebricht: dem „Vergleich verschiedener Sorten des Grünkohls“. Die Verfasser sind Biologen und untersuchen die Grünkohlsorten auch unter biologisch relevanten Gesichtspunkten wie Samenvitalität, Wuchsgeschwindigkeit, Trockenheitsresistenz und Ergiebigkeit. Offen bleibt die den Normal-Oldenburger brennend interessierende Frage, ob sich denn auch eine geschmackliche Differenzierung ergibt.

Die Abteilung „Geschichte“ umfasst sechs Beiträge, die die Spanne vom 16. bis zum 20. Jahrhundert abdecken. Über einen Zeitraum von 300 Jahren wird etwa die Finanzierung einer dörflichen Kirchengemeinde verfolgt („Ein Einkünfteverzeichnis der Lastruper Kirche von 1519“). Die demografische und wirtschaftliche Situation von Stadt und Amt Cloppenburg zu Beginn des 19. Jahrhunderts wird unter dem Titel „Ackerbau – Strumpfstrickerei – Schifffahrt“ dargestellt.

In ganz anderer Form spielen Landwirtschaft und Schifffahrt in zwei weiteren Aufsätzen eine Rolle: Von Dora Garbade und der Landfrauenbewegung im Oldenburger Land handelt der eine, mit der Geschichte des Seeamts Brake befasst sich der andere. Entwirrung hat sich ein Beitrag über den Wappenschmuck zweier Grabplatten in der Oldenburger Lambertikirche zum Ziel gesetzt, deren Wappenprogramme keiner Regel folgen.

Mit einem nach heutigen Kriterien spektakulären Fall von Kindesentziehung befasst sich der Aufsatz über das „Dammer Kind“, ein Mädchen, das 1861 verschwand und erst 1871 wieder auftauchte. Die „Oldenburgische Bibliographie 2012“ rundet das Jahrbuch 2013 ab.

Quelle: Nordwest-Zeitung, Oldenburg

26.11.2013: Gerichtsviertel in Oldenburg

Oldenburg ist eine Justizstadt. Nicht nur die drei Instanzen der ordentlichen Gerichtsbarkeit, sondern auch Arbeitsgericht, Sozialgericht und Verwaltungsgericht sind hier angesiedelt. Die historischen, für Amtsgericht und Landgericht errichteten Gebäude sind harmonisch in das sie umgebende Wohnviertel eingebettet und prägen seit mehr als einem Jahrhundert ihre Umgebung. Das in den fünfziger Jahren errichtete Oberlandesgericht ergänzt das Ensemble zu einem in Deutschland seltenen Beieinander aller drei Instanzen der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Das in unmittelbarer Nähe gelegene Gebäude der Staatsanwaltschaft vervollständigt das „Gerichtsviertel“. Alle diese Justizgebäude sind durch ihre Innenstadtnähe gut an die Stadt angebunden und liegen doch gleichzeitig in ruhiger Umgebung. Das Oldenburger „Gerichtsviertel“ gilt als die bevorzugte Wohngegend Oldenburgs.

Überlegungen, die in Oldenburg angesiedelten Gerichte baulich zu zentralisieren, gibt es seit vielen Jahren. Die dafür angeführten Gründe sind nachvollziehbar, soweit die mit der Aufsplitterung in zahlreiche Nebengebäude verbundenen Nachteile und damit vor allem auch Sicherheitsgründe in den Vordergrund gestellt werden.

Das zurzeit diskutierte Projekt, der Bau eines neuen Justizzentrums in der Nähe des Bahnhofs, führt allerdings in die falsche Richtung. Der komplette Abzug der Justiz aus dem Gerichtsviertel droht das in Jahrhunderten gewachsene städtebauliche Ensemble und damit eine Visitenkarte der Stadt zu zerstören. Die denkmalgeschützten historischen Gebäude des Amtsgerichts und des Landgerichts sind spezifisch für die Nutzung als Gerichtsgebäude errichtet worden. Sie können aufgrund ihres auf diese Nutzung ausgerichteten Zuschnitts und bei Deckenhöhen von knapp fünf Metern nicht einfach zu Wohnungen oder Hotels umgenutzt werden, wie das in der öffentlichen Diskussion vorgeschlagen wird.

Es trifft auch nicht zu, dass sich die Gerichtsgebäude in einem schlechten baulichen Zustand befänden. Die Gebäude werden durch bauliche Unterhaltungsmaßnahmen unter Leitung des Staatlichen Baumanagement regelmäßig instand gehalten. Erst vor wenigen Jahren sind die Fenster des Oberlandesgerichts komplett erneuert und hinter den historischen Fenstern des Landgerichts aus energetischen Gründen neue Kastenfenster eingebaut worden, die zeitgemäßen Anforderungen entsprechen. Im Gebäude des Landgerichts ist ein Aufzug eingebaut worden. Der bauliche Zustand der Gebäude setzt ihrer weiteren Nutzung als Justizgebäude deshalb keine Grenzen. Zudem wären die Investitionen der vergangenen Jahre bei einem Auszug der Justiz aus den angestammten Gebäuden fehlinvestiert.

Tatsächlich bilden die im Oldenburger „Gerichtsviertel“ angesiedelten Justizgebäude schon jetzt ein „Justizzentrum“, das zudem auch Erweiterungsmöglichkeiten bietet. Das bisher als Untersuchungsgefängnis genutzte Gebäude steht seit Jahresbeginn leer. Zahlreiche Freiflächen rund um die Justizgebäude werden lediglich als Parkplätze genutzt. Diese Situation ermöglicht es, statt eines kompletten Neubaus in Bahnhofsnähe über die Möglichkeiten für einen arrondierenden Neubau im Gerichtsviertel nachzudenken. Ein solcher Neubau - etwa für die Verhandlungssäle aller Gerichte - könnte den Publikumsverkehr konzentrieren und damit berechtigten Sicherheitsbedenken abhelfen. Gleichzeitig - und das halten wir für besonders wichtig - könnten bei einer solchen Lösung die gewachsenen städtebaulichen Strukturen und die historischen Gebäude in der ihnen ursprünglich zugedachten Funktion erhalten werden.

Der Vorstand des Oldenburger Landesvereins plädiert aus diesen Gründen darum, das Justizviertel an seinem jetzigen Standort zu erhalten und von Umzugsplänen Abstand zu nehmen.

30.10.2013: Artikel in der Kreiszeitung Wesermarsch

Zeitgeschichte wird lebendig

Reinhard Rittner ist tief eingetaucht in kirchliches Leben – Buch mit zwölf biografischen Studien

Text und Bild von KATRIN ZEMPEL-BLEY

„Christen – Pastoren – Bischöfe in der evangelischen Kirche Oldenburgs im 20. Jahrhundert“ lautete der Titel des Bandes 28 in der Reihe Oldenburger Forschungen von Reinhard Rittner. Klingt nüchtern, doch tatsächlich verbirgt sich dahinter eine spannende Lektüre.

Reinhard Rittner blickt buchstäblich in einzelne Persönlichkeiten der Evangelisch-Lutherischen Kirche Oldenburg hinein und zeigt auf, wie schmal der Grat zwischen Religion und Politik mitunter sein kann. Im Mittelpunkt stehen unter anderem Heinrich Tilemann und Wilhelm Flor vor dem Zweiten Weltkrieg sowie Wilhelm Stählin und Hermann Ehlers in der Nachkriegszeit, aber auch Gemeindepastoren wie Paul Schipper in Delmenhorst und Hermann Buck in Oldenburg und Wangerooge. Sie alle mussten sich den Herausforderungen in der Weimarer Republik, in der NS-Diktatur, im Zweiten Weltkrieg und in der Zeit danach stellen.

Sehr gute Quellenlage

Wie gingen sie nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Nazidiktatur und den Verantwortlichen um, reichten die Bemühungen aus? Rittner bewertet das nicht, er versucht Licht in das Dunkel zu

bringen und hat dafür intensive Forschungen in zahlreichen Archiven betrieben und seine Quellen teilweise abgedruckt, was für den Leser äußerst aufschlussreich ist. „Die Quellenlage in den

kirchlichen Archiven erwies sich als Ansporn“ verrät er bei der Buchvorstellung.

„Die evangelische Kirche, ihre Repräsentanten und Mitglieder müssen nach einer zeitgemäßen Gestalt suchen, um unter den jeweiligen Lebensbedingungen dienlich zu sein. Dabei gab es Verirrungen wie bei Reichsbischof Müller. Es gab Leitbilder, die an die Alte Kirche oder das 16. Jahrhundert anknüpften, aber die Gegenwart verfehlten“, sagt er.

Couragiert gelebt

Es gab aber auch Persönlichkeiten, die den evangelischen Glauben couragiert gelebt haben. Und so finden in Rittners Buch die beiden weltweit bekannten Oldenburger Karl Jaspers und Rudolf Bultmann einen angemessenen Platz. Rittner beleuchtet, wie sie die kirchlich-religiösen Entwicklungen in ihrer Heimat beurteilt haben.

„Zwischen Ächtung und Anteilnahme: Der Selbstmord im Spiegel kirchlicher Äußerungen zwischen 1860 und 1932“, heißt es in einem Aufsatz, der davon handelt, ob Selbstmörder von einem Pfarrer bestattet werden dürfen oder nicht.

Karl Jaspers Vater Carl hatte sich dazu kritisch geäußert und die Kirche verlassen, weil ein junger Mann, der sich das Leben nahm, nicht vom Pfarrer bestattet wurde. Karl Jaspers hat sich über sein Verhältnis zur Religion in seiner „Philosophischen Autobiographie“ geäußert.

Rittner beleuchtet die Problematik detailliert und zeigt auf, welche Strömungen es in der Kirche seinerzeit gab. So berichtet er von dem Elsflether Pfarrer Carstens, der 1865 vom Oberkirchenrat wissen wollte, ob und wie die Bestattung eines Selbstmörders vorzunehmen sei.

1869 plädierte der Wiefelsteder Organist Borchers dafür, die Versagung der kirchlichen Beerdigung bei Selbstmördern aufzuheben, weil durch das Verbot die Zahl der Selbsttötungen nicht zurückgegangen sei. Kirchenzucht könne soziale Probleme nicht lösen, lautete sein Fazit. Rittner skizziert die Kontroverse zwischen liberalen und konservativen Theologen sehr anschaulich und umfassend.

Kirchenkampf in Rastede

Ferner berichtete er über den Kirchenkampf in Delmenhorst und

Rastede, er schreibt über Ludwig Müller, den Militärpfarrer in Wilhelmshaven und späterer Reichsbischof, beschreibt wie es um Religion, Kirche und Gesellschaft in der Stadt Oldenburg um 1930 bestellt war und stellt den Kirchenmaler Hermann Oetken vor.

Religion und Gesellschaft erscheinen in unterschiedlichen Perspektiven. Einmal muss die Kirche nach dem landesherrlichen Kirchenregiment ihren Platz in einem demokratischen Gemeinwesen finden. Ein anderes Mal muss sie für ihre durch Bekenntnis und Kirchenverfassung bestimmte Existenz kämpfen.

Nach der Katastrophe von Diktatur, Krieg und Holocaust beteiligt sie sich aktiv am Wiederaufbau in Staat und Gesellschaft. Überall lauern Gefährdungen und Irrwege – durch Vergangenheitsverklärung, durch Anpassung an die herrschende Ideologie oder durch unrealistische Kirchenkonzepte.

In zwölf biografischen Studien wird die Zeitgeschichte lebendig, um bei der Suche nach der Zukunft die Orientierung zu behalten. Professor Dr. Rolf Schäfer hat zu dem Band ein Geleitwort beigesteuert, Professor Dr. Albrecht Eckhardt war verantwortlicher Redakteur.

Quelle: Kreiszeitung Wesermarsch

30.10.2013: Artikel in der NWZ

Von Schloss und Sportarten

Sprachen im Schloss: (von links) Hellmut Collmann, Prof. Heinrich Schmidt, Prof. Gunilla Budde, Reinhard Rittner, Prof. Thomas Vogtherr - Bild: Arno Kollmann

Abend im Schloss

Der Oldenburger Landesverein hatte zum Schlossabend für und mit Professor Dr. Heinrich Schmidt – anlässlich seines 85. Geburtstags – eingeladen. Die Laudatio hielt Professor Dr. Thomas Vogtherr, Vorsitzender der Historischen Kommission Niedersachsen/Bremen unter dem Titel „Über die Demut des Historikers“.

Grußworte sprachen Reinhard Rittner, Vorsitzender des Landesvereins, sowie die Vizepräsidentin der Universität Oldenburg, Prof. Dr. Gunilla Budde. Auch Helmut Collmann, Präsident der Ostfriesischen Landschaft, und Thomas Kossendey, Präsident der Oldenburgischen Landschaft, begrüßten die Anwesenden. Schmidt, Nestor der hiesigen Regionalgeschichte, sprach dann über das Thema „Oldenburg und Ostfriesland“.

Quelle: NWZ Online

23.10.2013: Artikel in der NWZ

Drei berühmte Oldenburger im Vergleich

von Norbert Wahn

Das Thema: Winterprogramm des Landesvereins

Im Interview: Reinhard Rittner

Zur Person: Reinhard Rittner ist Vorsitzender des Oldenburger Landesvereins für Geschichte, Natur- ?und Heimatkunde. Das Engagement des Oldenburger Landesvereins spiegelt sich in Vorträgen, Publikationen und Exkursionen wider.

Frage: Herr Rittner, der Oldenburger Landesverein startet ins Winterprogramm. Was wird geboten?

Rittner: Es beginnt mit einem festlichen Auftakt. Im August konnte Professor Heinrich Schmidt seinen 85. Geburtstag feiern. Der Nestor der Landesgeschichte hat in Ostfriesland sowie in Stadt und Land Oldenburg in vielen Vorträgen, Aufsätzen und Büchern gewirkt. Auf Bitten des Landesvereins hat er nun noch einmal für einen Vortrag zugesagt: Am 24. Oktober 2013, 20 Uhr, spricht er über „Oldenburg und Ostfriesland“ im Schloss zu Oldenburg. Dazu lädt der Landesverein gemeinsam mit der Ostfriesischen und der Oldenburgischen Landschaft und der Universität Oldenburg ein.

Frage: Was gibt es noch?

Rittner: Die Universität Oldenburg hat neuerdings eine Professur für Vergleichende Ideengeschichte. Der Lehrstuhlinhaber Matthias Bormuth wird am 23. Januar 2014, 20 Uhr, im Schlosssaal sprechen. Er leitet das Karl-Jaspers-Haus am Eversten Holz und hat sich für diesen Vortrag einen Vergleich der drei berühmten Oldenburger vorgenommen – Karl Jaspers, Rudolf Bultmann und Peter Suhrkamp. Sie standen zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Spagat zwischen Tradition und Moderne und entwickelten mit diesem Problembewusstsein ihre Konzepte in Philosophie, Theologie und Literatur. Der Brückenschlag von den damaligen Herausforderungen zu Existenz und Verantwortung dürfte auch 100 Jahre später für unsere Lebenswelt noch Impulse und Anregungen bieten.

Frage: Dann kooperieren Sie mit dem Oldenburgisch-Russischen Förderverein?

Rittner: Ja, der Brigadegeneral Bernd Müller hat nach seiner Pensionierung eine Dissertation über die Außenpolitik des Herzogs Peter Friedrich Ludwig angefertigt. Damit steht die Geschichte zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Fokus. Es interessieren die Weichenstellungen rund um den Wiener Kongress 1815 und was daraus geworden ist, also ein neuer Blick auf Russland und Oldenburg im 18. und 19. Jahrhundert. Dr. Müller wird am 20. Februar 2014, 20 Uhr, im Schlosssaal sprechen.

Reinhard Rittner ist Vorsitzender des Oldenburger Landesvereins für Geschichte, Natur- ?und Heimatkunde. Das Engagement des Oldenburger Landesvereins spiegelt sich in Vorträgen, Publikationen und Exkursionen wider.

Quelle: NWZ Online

11.10.2013: Prof. Dr. Ludwig Freisel - Ehrenmitglied

Am 6. Oktober 2013 überreichte der Vorsitzende Pfarrer i.R. Reinhard Rittner (rechts im Bild) seinem Vorgänger, Prof. Dr. Ludwig Freisel (links im Bild), in dessen Wohnung die Urkunde über die Ehrenmitgliedschaft im OLV. Es war zugleich Prof. Freisels 75. Geburtstag.

18.09.2013: Artikel in der NWZ

Buch zur neuesten Kirchengeschichte vorgestellt

Zwölf Vorträge und Aufsätze aus den vergangenen 20 Jahren hat der Pfarrer im Ruhestand Reinhard Rittner (Mitte) in dem Buch „Christen, Pastoren, Bischöfe in der evangelischen Kirche Oldenburgs im 20. Jahrhundert“ gesammelt. Professor Rolf Schäfer (links) hat ein Geleitwort beigesteuert, Professor Albrecht Eckhardt (rechts) war der verantwortliche Redakteur. Das Buch hat 312 Seiten, kostet 19,80 Euro und ist als Band 28 in der Reihe Oldenburger Forschungen im Isensee Verlag unter der ISBN-Nummer 978-3-89995-998-7 erschienen.

Quelle: NWZ Online

31.05.2013: Artikel in der NWZ

Auf gute Zusammenarbeit

Die Vorstände des Oldenburger Landesvereins für Geschichte, Natur- und Heimatkunde (Vorsitz Reinhard Rittner) und der Oldenburgischen Landschaft (Präsident Thomas Kossendey) trafen sich in Oldenburg, um über eine engere Zusammenarbeit zu sprechen. Im Gespräch wurden weitere Kontakte vereinbart, aber auch konkrete Ansätze für künftig gemeinsam zu erarbeitende Projekte benannt. So war man sich einig darüber, das Oldenburger Jahrbuch in seiner bewährten Art und Aufmachung zu erhalten und fortzusetzen. Im Bild (von links): Richard-Balthasar Busse, Helmut H. Müller, Reinhard Rittner, Jörg Duvenhorst, Thomas Kossendey, Torben Koopmann und Michael Brandt.

Quelle: NWZ Online

16.04.2013: Artikel in der NWZ

13.04.2013: Vergrippter Großherzog sticht in See

Das Jahr 1913 war in Oldenburg frei von Kriegssorgen – Vortrag vor dem Landesverein

Udo Elerd sichtete die Oldenburger Zeitung im Jahr vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Er fand eine Residenzstadt frei von Kriegsfurcht.

Von Klaus Fricke

In sich ruhend: Das großherzogliche Schloss zog in den Vorkriegsjahren schon alle Blicke auf sich. Bild: Werkstattfilm

Oldenburg - Rainer Maria Rilke war erkältet, damals im Jahr 1913. Der Schnupfen des deutschen Dichters im südspanischen Winterquartier interessierte die Oldenburger Zeitgenossen allerdings herzlich wenig. Sie hatten andere Sorgen, damals im Jahr vor Beginn des Ersten Weltkriegs. Zum Beispiel, ob die Grippe des Großherzogs es zulassen würde, dass Friedrich August II. in See stechen konnte zu einer lange geplanten Mittelmeer- und Schwarzmeerreise auf der Yacht „Lensahn“.

Die Oldenburger im Jahr vor der „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ – sie bewahrten ganz offenbar ihre Ruhe und hatten genug zu tun mit den Aufgaben, die sich ihnen 1913 stellten. Diesen Schluss konnte man am Ende des jüngsten Vortrages ziehen, den der Oldenburger Landesverein für Geschichte, Natur- und Heimatkunde am Donnerstagabend im Schlosssaal ausrichtete. Udo Elerd, ehemaliger stellvertretender Direktor des Stadtmuseums, beschäftigte sich darin mit dem Thema „Oldenburg 1913 – das letzte Friedensjahr“. Als Erkenntnisquelle nutzte Elerd die 6000 Seiten, die die Tageszeitung „Nachrichten für Stadt und Land“, Vorgängerin der NWZ, in jenen zwölf Monaten publiziert hatte.

"Sprengpotenzial"

Der Historiker suchte bei seiner verdienstvollen akribischen Lektüre nach Hinweisen, die den Oldenburgern den Ausbruch des Ersten Weltkriegs möglicherweise andeuteten. Doch weder in den umfangreichen Artikeln über die internationale Konfliktlage (Balkankriege) noch im regionalen Geschehen wurde Elerd fündig. „Ohne Zweifel hatte sich ein Sprengpotenzial aufgetürmt, worauf hellsichtige Geister auch warnend ihre Finger richteten, aber dass es sich mit dieser uns bekannten Konsequenz entladen sollte, lag ganz offensichtlich der Mehrheit der Zeitgenossen des Jahres 1913 fern ihres Vorstellungshorizonts“, folgerte Udo Elerd.

Außerdem gab es in der aufstrebenden Stadt an der Hunte genug zu tun. Die Reise des verschnupften Großherzogs hatte für die Redakteure der liberalen „Nachrichten“ auch eine politische Komponente: „Man wird aus dieser Reise eines deutschen Bundesfürsten in das jetzige Kriegsgebiet folgern dürfen, daß man in jenen Kreisen die Zuversicht hegt, daß wir friedlichen Zeiten entgegensehen“, beruhigte die Oldenburger Tageszeitung ihre Leser.

Jubelfeiern des Militärs

Ebenso wichtig wie die Regentenfamilie war Oldenburg das Militär. 3500 der 30?000 Einwohner damals dienten im Heer, hinzu kamen tausende Reservisten in zwölf „Kriegervereinen“ – klar, dass die Zeitung voll war mit kleinen und großen Berichten aus dem Militär. Zumal 1913 mit zwei Jubiläen aufwartete: Das 91er Infanterieregiment („Das Oldenburgische“) wurde 100 Jahre alt, genauso lange her waren die Befreiungskriege gegen Napoleon. Jubelfeiern, die mit großem Programm und unzähligen Besuchern gefeiert wurden. Oldenburg versank zeitweise in Eichenlaub- und Tannengrün-Girlanden.

Trotz allen Hurra-Patriotismus’ – in die Berichterstattung über den „Reigen von vaterländischen Festen“ schlichen sich auch nachdenkliche Töne: „Die Zeit ist ernst, so ernst, dass es wohl angebracht ist, sich des Ernstes vergangener, schwererer Zeiten zu erinnern“, heißt es am 1. März 1913 in den „Nachrichten“.

OB nur Rangklasse 4

Weniger Zeilen wert war den Redakteuren, was in Oldenburg abseits des großbürgerlich-liberalen Alltags stattfand. Von Sozialdemokratie und Arbeitern war in jenem „letzten Friedensjahr“ so gut wie nichts zu lesen. Statt dessen gab es Nachhilfe in gesellschaftlichen Ständen: „Auf Wunsch“ wurden die acht Rangklassen des Oldenburger Lebens aufgelistet, angefangen von den Angehörigen der Regentenfamilie (Rang 1) über u.a. den Präsidenten des Oberlandesgerichts (2. Rang) und u.a. Oberbürgermeister Karl Friedrich Johann Tappenbeck (4. Rang) bis hin zum Proleten.

Und es gab noch mehr neben Kriegsgedröhn, Militärfeiern und großherzoglichen Reisen zu erzählen: In Oldenburg wurde (bis 1915) schließlich ein Bahnhof gebaut, wurden Kriminalfälle gelöst und wurde die heutige Stadtentwicklung schon einmal festgeklopft: Es mache sich, schrieb die Zeitung, „seit einigen Jahren unter den sogenannten kleinen Leuten das Bestreben nach einem eigenen Heim bemerkbar“.

Für Elerd steht nicht nur durch solche Aussagen fest: „Der positive Grundton (im Blatt) überwog.“ Es habe in weiten Teilen der Bevölkerung eine „Friedenssehnsucht“ gegeben, die sich auch in den Zeitungsartikeln manifestierte. Chefredakteur Wilhelm von Busch konnte die liberale Linie des Blattes problemlos beibehalten. Das änderte sich im nächsten Jahr allerdings – der gelebte Patriotismus des ersten Kriegsjahres machte auch vor den „Nachrichten“ nicht mehr Halt. Aber 1913 habe man, so Elerds Fazit, „genauso wenig wie heute in die Zukunft sehen können“.

Quelle: NZW Online

09.04.2013: Zerfall des Großherzogtums war 1913 noch unvorstellbar

von Christin Horrmann

Udo Elerd

Das Thema: Oldenburger Land vor dem Krieg

Im Interview: Udo Elerd

Zur Person: Udo Elerd(65) war am Stadtmuseum Oldenburg tätig und schreibt zur oldenburgischen Stadt- und Landesgeschichte. Er spricht am Donnerstag, 11. April, im Oldenburger Schlosssaal über „Oldenburg 1913 – das letzte Friedensjahr“. Die Veranstaltung beginnt um 20 Uhr.

Frage: Herr Elerd, Sie haben die Ausgaben von 1913 der Oldenburger Zeitung „Nachrichten für Stadt und Land“ analysiert. Hat sich darin abgezeichnet, dass der Zerfall des Großherzogtums Oldenburg und der Erste Weltkrieg bevorstanden?

Elerd: Dass man in unruhigen Zeiten lebte, war den Zeitgenossen bewusst. Schließlich wurde täglich von den kriegerischen Auseinandersetzungen, die sich auf dem Balkan abspielten und bis in den Spätsommer 1913 hinzogen, eingehend berichtet. Zugleich findet sich auf den über 6000 Zeitungsseiten eine bemerkenswert durchgehende Friedenssehnsucht artikuliert. Die Gefahr einer Konfrontation der europäischen Mächte wurde also durchaus gesehen, nicht aber das Sprengpotenzial in den jeweils rechten Lagern zutreffend eingeschätzt.

Frage: Welche Einstellung lässt sich bei Großherzog Friedrich August in Oldenburg erkennen? Ahnte er, dass die Fürstenherrschaft zu Ende gehen könnte?

Elerd: In seinem Auftreten orientierte sich Friedrich August sicher an dem preußischen König Wilhelm II. Die Zeitung berichtete im Übrigen zwar viel über ihn, nichts aber von ihm. Immerhin können wir getrost davon ausgehen, dass er sich 1913 genauso wenig wie seine Oldenburger Zeitgenossen vorgestellt haben dürfte, dass das Großherzogtum nur noch sechs Jahre Bestand haben sollte.

Frage: In der Vorkriegszeit boomte die Kunst. Welchen Widerhall fand das in der Zeitung?

Elerd: Nicht alle geachteten Künstler wie Rainer Maria Rilke oder Franz Kafka wurden im Feuilleton der „Nachrichten“ erörtert. Aber es wäre verfehlt, daraus abzuleiten, dass die Interessierten nicht informiert waren über das, was sich in der „Szene“ außerhalb Oldenburgs abspielte.

Frage: Haben die Menschen aus dieser Zeit keine Lehren gezogen?

Elerd: Wie sollten sie auch. Geschichte wiederholt sich bekanntlich nicht, und aus ihr zu lernen, hat seine Grenzen. Gesetzt, wir hätten in allem die richtigen Schlüsse aus dem Verhalten unserer Altvorderen gezogen, so gibt uns das keine Sicherheit für die Gegenwart und Zukunft.

Udo Elerd (65) war am Stadtmuseum Oldenburg tätig und schreibt zur oldenburgischen Stadt- und Landesgeschichte. Er spricht am Donnerstag, 11. April, im Oldenburger Schlosssaal über „Oldenburg 1913 – das letzte Friedensjahr“. Die Veranstaltung beginnt um 20 Uhr.

Quelle: NWZ online

20.02.2013: Artikel in der NWZ

Sachsenspiegel nicht nur Abbild der Gesellschaft im Mittelalter

Das Thema: Recht im 13. und 14. Jahrhundert

Im Interview: Dr. Friedrich Scheele

Zur Person: Dr. Friedrich Scheele(52) ist Direktor der Museen, Sammlungen und Kunsthäuser der Stadt Oldenburg. Er spricht am Donnerstag, 21. Februar, 20 Uhr, im Oldenburger Schlosssaal über Deutsche Rechtsbücher des 13. und 14. Jahrhunderts.

Frage: Das Mittelalter ist fremd und faszinierend zugleich. Was begründet die Neugierde?

Scheele: Das Mittelalter war bunt und intensiv. Gerade die vielfältigen Unterschiede machen die mittelalterliche Welt für uns heute so faszinierend: Sie war – obwohl von Dreck und Dunkelheit gefärbt – bunter und aufregender.

Frage: Waren die deutschen Rechtsbücher wirklich ein Spiegel der Gesellschaft?

Scheele: Mit dem Begriff „Spiegel“ nimmt Eike von Repgow, der berühmte Verfasser des Sachsenspiegels, den lateinischen Titel „Speculum“ auf, der für einen Typus belehrender Literatur seiner Zeit stand. Der Spiegel, der den Menschen vorgehalten wird, soll zum einen nicht nur ein Abbild des Lebens, sondern zum anderen auch ein Vorbild für das Leben zeigen.

Frage: Welche Konflikte und Streitigkeiten wurden in den Rechtsbüchern geregelt?

Scheele: Angesprochen werden jene Bereiche, die sich zum Beispiel mit Besitz von Land, der Erbfolge und rechtlichen Satzung zur Ehe befassen. Hinzu kommen das Straf- und das Gerichtsverfassungsrecht. Das sind jene Bestimmungen, die sich mit dem Verfahren bei und der Zuständigkeit von Gerichten beschäftigen. Thematisiert wird auch die hierarchische Ordnung des Mittelalters, also die Heerschildordnung und das verbreitete Lehnswesen.

Frage: Wann und warum entstanden die berühmten bebilderten Sachsen-Handschriften?

Scheele: Seit dem späten 13. Jahrhundert entstanden die prächtig ausgemalten Bilderhandschriften des Sachsenspiegels. Die Textspalten werden hier anschaulich mit Bildszenen erläutert. Als Kommentar und Lesehilfe sollten sie die praktische Umsetzung der abstrakten Rechtsregeln erleichtern. Nur vier von ursprünglich mindestens sieben solcher Bilderhandschriften sind erhalten geblieben: der Heidelberger, der Oldenburger, der Wolfenbütteler und der Dresdener Codex.

Frage: Gibt es zwischen dem Recht von damals und dem von heute Verbindungen?

Scheele: Ja, manche Aspekte sind sogar noch wirksam oder haben die Grundlage für heutige Rechtsnormen geliefert. So erforderten die engen Wege in den Dörfern Vorfahrtsregeln für den Fall, dass sich zwei Fuhrwerke begegneten. Ebenso deuten Vorschriften über den notwendigen Abstand des Backofens als Gefahrenherd sowie des Aborts und des Schweinekobens als Geruchsquellen auf ein Umweltbewusstsein im Interesse der Gemeinschaft hin.

Dr. Friedrich Scheele (52) ist Direktor der Museen, Sammlungen und Kunsthäuser der Stadt Oldenburg. Er spricht am Donnerstag, 21. Februar, 20 Uhr, im Oldenburger Schlosssaal über Deutsche Rechtsbücher des 13. und 14. Jahrhunderts.

Quelle: Nordwest-Zeitung, Oldenburg

11.02.2013: Artikel in der NWZ

Als Gauck die Stadtkirche füllte

Heute vor einem Jahr eroberte der Pastor die Sympathien der Besucher

Joachim Gauck sprach am 9. Februar 2012 in der überfüllten Lambertikirche. Reinhard Rittner, der Vorsitzende des Oldenburger Landesvereins, erinnert sich.

von Reinhard Rittner

Beeindruckte die vielen Zuhörer in der vollen Lambertikirche: Joachim Gauck sprach dort vor genau einem Jahr auf Einladung des Oldenburger Landesvereins – kurz bevor er erneut als Bundespräsident nominiert wurde. Bild: Detlef Lubenau

Er war noch nicht Bundespräsident. Die Niederlage zwei Jahre zuvor hatte ihm nicht geschadet. Als begehrter Redner war er landauf landab unterwegs. Die Einladung des Oldenburger Landesvereins für Geschichte, Natur- und Heimatkunde schien chancenlos. Dabei hat der Mann wirklich etwas zu sagen – aus einer mit Erfahrungen gesättigten Lebensgeschichte. Der Pastorenberuf öffnete ihm im real-existierenden Sozialismus eine Nische. In der kirchlichen Arbeit hatte Gauck das Ohr bei den Menschen und ihren realen Nöten. Sie harrten auf Veränderung. Hoffnung keimte in der Bürgerbewegung Ende ?1989. Mit dem Ruf „Wir sind das Volk“ fegten die DDR-Bürger die Tyrannen und ihre Lakaien hinweg. Sie können wahrlich stolz darauf sein. Gauck ist ein leidenschaftlicher Anwalt für Freiheit und Verantwortung, vor allem für Bürgerrechte und Demokratie. Er hat seither keine Wahl versäumt und durchaus unterschiedlich votiert, ein Wechselwähler.

Karten schnell vergriffen

In Oldenburg waren die Eintrittskarten lange vor dem Besuch vergriffen. Am Abend standen die Menschen vor der Lambertikirche Schlange. Per Handy hatte der Gast aus Berlin einen Zugausfall gemeldet, also wurde es zeitlich eng. Kleiderwechsel, schneller Imbiss. Die Orgel überbrückte mit einem Zwischenspiel.

Dann stand der frühere Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen der ehemaligen DDR am Lesepult ohne Skript oder Stichworte und fesselte anderthalb Stunden seine Zuhörer, die es ihm mit stehenden Ovationen dankten.

20 Jahre nach der Wiedervereinigung warb Gauck für seine Landsleute, die einen Epochenbruch bewältigen mussten. Die Wirtschaft war ruiniert, von Wettbewerbsfähigkeit keine Spur. Die Menschen waren bevormundet, bespitzelt, wie Insassen behandelt worden. Aber die Sehnsucht nach Freiheit blieb lebendig. Selbstbestimmung, Reisefreiheit, Wohlstand wollte man nicht nur im Westfernsehen bestaunen, sondern selber daran Anteil haben. Ein Wechsel der Mentalität war angesagt. Im Osten musste ein Trainingsrückstand aufgeholt werden. Es galt, im Wechselspiel der Parteien und Programme Hasardeure von verlässlichen Repräsentanten zu unterscheiden. Inzwischen hat unser Land eine Bundeskanzlerin mit DDR-Vergangenheit.

Über dem Oldenburger Auftritt lag eine merkwürdige Spannung. Der Wahlsieger von einst, vorher niedersächsischer Ministerpräsident, kämpfte ums politische Überleben. Das beförderte die Neugier nach dem unterlegenen Kandidaten.

Ohne Scheuklappen

„Wenn etwas nicht stimmt – aufmucken!“ rief Gauck den Oldenburgern zu, die die Akustik bemängelten. Die Beobachtung war richtig, also sprach er deutlicher. Das Thema lautete in der Diktion von Willy Brandt: „Ist zusammengewachsen, was zusammengehört?“ Das Ziel ist klar, der Weg noch lang, Geduld nötig. Zehn Tage danach wurde der frühere Mecklenburger Pastor erneut nominiert und vier Wochen später zum Bundespräsidenten gewählt. Er wusste, dass er als Wanderprediger in Sachen Demokratie fortan das diplomatische Protokoll berücksichtigen muss. Doch geht man nicht fehl in der Annahme, dass der zweite DDR-Bürger an der Spitze unseres Staates weiterhin ein Zeitbeobachter ohne Scheuklappen und ein Meister des unabhängigen Wortes bleiben wird.

Quelle: Nordwest-Zeitung, Oldenburg